Physiknobelpreis 1904: Lord Rayleigh \(John William Strutt\)

Physiknobelpreis 1904: Lord Rayleigh \(John William Strutt\)
Physiknobelpreis 1904: Lord Rayleigh (John William Strutt)
 
Der englische Physiker erhielt den Nobelpreis für seine Untersuchungen der Dichte der wichtigsten Gase und für die Entdeckung des Edelgases Argon.
 
 
John William Strutt, 3. Baron (seit 1873) Rayleigh, * Langford Grove (Essex) 12. 11. 1842, ✝ Witham (Essex) 30.6. 1919; Professor in Cambridge und London, Mitglied und von 1905-08 Präsident der Royal Society, Rayleigh lieferte wichtige Beiträge auf vielen Gebieten der Physik, vor allem zur Schwingungs- und Wellenlehre sowie zur Akustik, unter anderem erklärte er die Entstehung der blauen Farbe des Himmels.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Bei trockener Luft besteht die Atmosphäre zu 0,93 Prozent aus Argon. Lord Rayleigh entdeckte das Element 1892 dennoch eher zufällig. Er stellte fest, dass der Stickstoff, den er aus der Luft durch Entfernen des Sauerstoffs hergestellt hatte, eine etwas größere Dichte zeigte, als der, den er aus Verbindungen gewann. Bei der genauen Analyse fand Rayleigh das Edelgas Argon. Dafür wurde er mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet.
 
Bereits im Jahr 1785 hatte der englische Chemiker und Physiker Henry Cavendish (1731-1810) Versuche mit Luft unternommen, bei denen er alle bekannten Komponenten abtrennte und schließlich eine kleine Gasblase zurückbehielt. Er hatte, ohne es zu wissen, als Erster Edelgase isoliert. Die Bedeutung dieser Entdeckung blieb viele Jahre unerkannt. Erst Lord Rayleigh gelang es zusammen mit Sir William Ramsay (1852-1916; Nobelpreis für Chemie 1904), dem späteren Entdecker weiterer Edelgase, mit Argon das erste derartige Element nachzuweisen. Argon wurde aufgrund seiner Reaktionsträgheit nach dem griechischen Wort für träge (argos) benannt.
 
Für die bloße Entdeckung hätte Lord Rayleigh der Chemienobelpreis zugestanden. Seine Leistung wurde mit dem Physikpreis ausgezeichnet, weil es ihm gelang, das Element mit bekannten Methoden zu isolieren und in reiner Form in ausreichend großer Menge darzustellen. Das erlaubte es ihm, das Edelgas physikalisch und chemisch zu charakterisieren.
 
Das Erstaunen der Welt über das neue Element fiel in eine Zeit, in der man alles Wesentliche der Physik für entzaubert hielt. So schrieb der amerikanische Physiker Albert Abraham Michelson (Nobelpreis 1907) noch 1903, dass alle wesentlichen Tatsachen der Physik entdeckt seien und: »Unsere künftigen Entdeckungen müssen wir in der 6. Dezimalstelle suchen.« Lord Rayleigh war einer derjenigen, der diese Meinung widerlegte. Die gepriesene Leistung war nur ein Markstein seiner Forschungslaufbahn, von der 446 wissenschaftliche Abhandlungen Zeugnis ablegen. Sein Hauptwerk ist die Theorie des Klangs. 1877 und 1878 veröffentlichte er die zweibändige »Theory of Sound«, die ihn in der physikalischen Welt bekannt machte.
 
 Forschungen zur Strahlung schwarzer Körper
 
Vor allem sein Beitrag zur Erforschung der elektromagnetischen Strahlung hat heute noch Bedeutung. Obwohl es ihm wie so vielen seiner Kollegen widerstrebte, den Schritt von der klassischen zur Quantenphysik zu machen, hat er ihr durch seine Analyse des Zusammenhangs von Energiegehalt und elektromagnetischem Strahlungsspektrum eines Körpers den Weg bereitet. Alle Körper mit einer Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunkts von -273,15 Grad Celsius senden ein Spektrum elektromagnetischer Strahlung aus. Unterhalb von etwa 600 Grad Celsius ist sie unsichtbar. Dass sich diese Strahlung auffächert, wie es das sichtbare Licht im Regenbogen tut, wurde mit der Zeit akzeptiert. Eine der fundamentalen Fragen der theoretischen Physik vor 1900 war deshalb die nach dem Aussehen der Spektren in Abhängigkeit von der Temperatur.
 
Der deutsche Physiker Gustav Kirchhoff (1824-1887) hatte 1859 entdeckt, dass das Verhältnis von Abstrahlungs- und Strahlungsaufnahmevermögen (Emission und Absorption) für alle Körper gleich ist und nur von der Wellenlänge und der Temperatur des Körpers abhängt. Er führte den Begriff des schwarzen Körpers ein. Ein ideal schwarzer Körper nimmt die gesamte auf ihn treffende Wärmestrahlung oder besser elektromagnetische Strahlung auf. Zugleich strahlt er mehr Energie ab, als jeder andere nicht vollkommen schwarze Körper der gleichen Temperatur. Ein solcher schwarzer Körper konnte gebaut werden. Er besteht aus einem Hohlraum mit Wänden aus Platin-Iridium. Wird die Hohlraumwandung bei einer festen Temperatur gehalten, bildet sich die so genannte schwarze Strahlung aus. Durch ein kleines Loch tritt diese Abstrahlung, ohne das Gleichgewicht im Innern zu stören, aus und kann untersucht werden.
 
Ausgehend vom Wien'schen Verschiebungsgesetz (Nobelpreis 1911) wollte Rayleigh nun wissen, wie sich die abgestrahlte Energie beziehungsweise Intensität über das Strahlenspektrum verteilt. Dies berechnete er in Abhängigkeit von der Temperatur. Um zu erfahren, wie viele Elementarwellen sich pro Wellenlängenbereich ausbilden können, benutzte er eine von seinem Landsmann James Hopwood Jeans (1877-1946) angegebene Rechenmethode. Da die Rechnung ergab, dass die Strahlungsleistung mit abnehmender Wellenlänge ins Unendliche zunehmen muss, hat er die Gültigkeit seiner Formel auf hohe Temperaturen und große Wellenlängen beschränkt. Doch Jeans erklärte 1905 die Gültigkeit des Rayleigh-Jeans'schen Strahlungsgesetzes als für alle Wellenlängen verbindlich. Das führte dazu, dass etwas lästerlich von der Ultraviolettkatastrophe gesprochen wurde. Denn ab diesem Frequenzbereich weichen die theoretischen Berechnungen sehr stark von den gemessenen Werten ab. Der Begriff war ein Analogon zur Infrarotkatastrophe, die vom Wien-Planck-Gesetz erzeugt wurde, das ebenfalls die schwarze Strahlung beschreiben sollte.
 
 Die Quantentheorie lehnte er ab
 
Dass die Physiker das Phänomen nicht vollständig beschreiben konnten, war ein deutlicher Hinweis darauf, dass die klassische Physik hier an ihre Grenzen stieß. Das Verstehen des Zusammenhangs von Strahlung und Materie ist jedoch von fundamentaler Bedeutung für die Physik. Dem deutschen Physiker Max Planck (1858-1947; Nobelpreis 1918) blieb es vorbehalten, dieses Problem mit der Quantentheorie zu lösen. Doch Rayleigh konnte sich nicht mit der Quantenidee anfreunden, die kleine Energiepäckchen postulierte. Er war vom Wellencharakter der elektromagnetischen Strahlung überzeugt. Hatte er doch noch wenige Jahre zuvor versucht, die klassische Theorie der elektromagnetischen Strahlung durch ein kompliziertes Äthermodell zu stützen.
 
Eine sehr nüchterne Meinung hatte Lord Rayleigh vom englischen Wissenschaftsbetrieb. Die im Jahr 1845 entstandene bedeutende Arbeit von John James Waterston (1811-1883), einem jungen, unbekannten englischen Physiker, über die kinetische Gastheorie — also über den Zusammenhang von Wärme und Bewegung —, die dieser aus Bombay zur Königlichen Gesellschaft (Royal Society) geschickt hatte, war dort als unsinnig abgelehnt worden. Sie wäre vollständig in Vergessenheit geraten, hätte Rayleigh sie nicht 1891, also 46 Jahre später und acht Jahre nach dem Tod von Waterston, im Archiv entdeckt. Er riet ob dieser Erfahrung allen jungen Physikern: »Sie sollten, um ihren Arbeiten ein ähnliches Schicksal zu ersparen, diese nur dann einer wissenschaftlichen Gesellschaft zusenden, wenn in ihnen nicht zu viele neuen Gedanken enthalten seien.« Außerdem wäre es klüger, sich am Beginn der Laufbahn zunächst mit leicht beurteilbaren Ausführungen zu einem allgemein akzeptierten Thema Anerkennung zu verschaffen.
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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